ERIK TANNHÄUSER

Um sich dem Werk von Erik Tannhäuser zu nähern, lohnt ein Blick in seine Kindheit - in die frühen Lebensbedingungen und in das Umfeld, das ihn geprägt hat. Tannhäuser kam als Frühchen, drei Wochen vor seinem regulären Geburtstermin, zur Welt. Die ersten Wochen verbrachte er im Brutkasten - 17 Kilometer von seiner Mutter entfernt. Seine Mutter überlebte die Geburt nur knapp. Während er, von Säuglingsschwestern versorgt, in einem Glaskasten lag, war der Blick hinaus sein erster Kontakt zur Welt. Beobachten war sein erstes Mittel, sich ihr zu nähern.

Aufgewachsen ist er im thüringischen Winterdorf, am Rand einer kleinen, von Wäldern umgebenen Siedlung. Viel Zeit verbrachte er in der Natur. Die Wandelbarkeit von Landschaft, Tieren und Pflanzen - ihr Entstehen, Vergehen und ihr gegenseitiges Abhängig sein - beeindruckten ihn und hinterließen Spuren in seinem späteren Arbeiten. In seinem Zimmer sammelte er Weckgläser mit organischem Material. Er beobachtete, wie Schimmel wuchs, wie Formen und Farben sich veränderten, wie Prozesse sichtbar wurden.

Nächtliche Schüsse aus dem Wald gehörten zum Alltag - das russische Militär war in der Region über Jahrzehnte stationiert und führte regelmäßig Übungen durch. Am Tag fuhren Soldaten mit Lastwagen durchs Dorf und verrichteten Arbeiten für die Gemeinde. Zuhause war Kommunikation knapp. Für Tannhäuser wurde das Zeichnen zu einem Mittel, Gefühle sichtbar zu machen - ein Weg, sich auszudrücken, wenn Worte fehlten.

Diese frühen Erfahrungen spiegeln sich im heutigen Werk deutlich wider. Kunst gehört für ihn nicht hinter Museumstüren, sondern in den Alltag, auf die Straße und in den öffentlichen Raum. Kunst ist für ihn Lebenswelt - politisch, sozial, ökologisch.

Mit 19 gründete er gemeinsam mit Freunden aus Hamburg das Fusion Festival. Unter dem Namen U-Site veranstaltete die Künstlergruppe zunächst illegale Partys, dann auf dem ehemaligen russischen Militärflughafen in Lärz das Fusion Festival - eine Fusion unterschiedlichster künstlerischer Genres. Tannhäuser bezeichnete seine Land-Art-Arbeiten als "Entmilitarisierung" - etwa in Rings of Fire oder Menschmaschine. Später beschrieb der aus U-Site entstandene Kulturkosmos das Festival als "Ferienkommunismus". Für Tannhäuser, der politische Systeme aus DDR-Kindheit und -Jugend kennt, erschien das Konzept schließlich untragbar - er stieg aus.

Darauf folgte eine Phase enger Zusammenarbeit mit NGOs. Er entwarf und fertigte Skulpturen für Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International, Aktion Aufschrei und Reporter ohne Grenzen - politisch, großformatig, für öffentliche Räume und oft an symbolischen Orten. Dazu gehören Arbeiten wie Unsere Waffen Töten vor dem Bundeskanzleramt, Waffenthron am Brandenburger Tor, Die goldenen Nasen vor dem Reichstag sowie "Fountain against Torture" auf dem Kasseler Königsplatz während der Documenta. Diese Arbeiten werden häufig als Medienbilder für die Berichterstattung über Folter und Waffenexporte - aber auch zur Wissensvermittlung und Bildung - verwendet. Weitere Quellen zur Verwendung der Skulptur Unsere Waffen töten finden sich unter anderem auf der Website des Deutschen Bundestags, bei Telepolis, bei Planet Wissen sowie in einem Artikel der Welt mit dem Titel "Kunst gegen deutsche Waffenlieferungen"

Für das Festival of Lights Berlin schuf Tannhäuser die monumentale Maske Faces of Berlin am Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz - darüber berichteten unter anderem Die Welt mit dem Artikel "Erleuchtet", die Rheinische Post mit dem Artikel "Gesichter leuchten über der Hauptstadt" sowie der MDR:


Wenige Kilometer weiter zeigte er ein mobiles Museum, wie die BZ es nannte: "Berlins fahrendes Museum stoppt im Kranzlereck", titelte das Blatt. Das Online-Magazin Art Parasites, das über die Berliner Kunstszene berichtet und Ausstellungsrezensionen sowie Beiträge zu Kunstveranstaltungen veröffentlicht, schrieb einen Artikel mit dem Titel "Travelling Art". Der Tagesspiegel titelte "Skulpturen auf Rädern". Vom Festival of Lights aus startete die Tour durch mehrere Berliner Bezirke; später folgte eine Einladung in das Museumsquartier Wien. Berichtet wurde u. a. von InfoRadio:


Berichtet wurde ebenfalls von der Radio Eins Kunstkritik Art Aber Fair:


2023 griff Tannhäuser die Idee des mobilen Ausstellungsraumes erneut auf - kleiner, unabhängiger, direkter: eine Ausstellungsbox für den Rücken, ein tragbarer Raum für Gedanken.

Neben Arbeiten für NGOs fertigte Tannhäuser Skulpturen zu sozialem und zwischenmenschlichem Leben. Einige davon finden sich unter dem Menüpunkt Arbeiten, mit Gedanken und Informationen. Im Dominotalk sprach er über seine künstlerischen Ansätze:

WERKSERIE: DEVELOPMENTS (SEIT 2006)

Den Ausgangspunkt bildeten Blätter, die im Herbst auf Stahltafeln im Atelierhof lagen und im Frühjahr ihre Spuren auf dem Metall hinterließen. Tannhäuser begann zu experimentieren, legte Blüten, Blätter und später Fische aus Beifang auf die Platten und setzte sie Witterung aus.

Nach einer Fahrt nach Dänemark brachte er Beifang aus Hanstholm mit und fertigte acht großformatige Tafeln (3 × 1,5 m), die Unterwasserwelt abbilden. Die achte Tafel blieb leer - ein Ausblick auf den Schwund durch menschliche Eingriffe.Die erste Ausstellung zeigte die Werke als kreisförmige Rotunde, mit einem schmalen Durchgang ins Innere. Musiker und Produzent Nhoah komponierte dazu ein Klangstück mit Tannhäusers 11-Pfeifen-Orgel, einem Theatergeräuschemacher und einer Englischhorn-Spielerin. Ein Vier-Track-Album entstand: Skulpturengarten Wien on Soundcloud

2017 folgte eine Ausstellung auf dem Kulturschiff MS Stubnitz, einst Kühlschiff der DDR-Hochseeflotte. Für Tannhäuser war der Ort doppeldeutig: innen Metallerzählung von Fang und Massenlagerung, außen das Meer als Ursprung. Die Stubnitz lief Rostock, Amsterdam und Hamburg an - die Werke wurden in den Häfen ausgestellt.

Nach dem Umzug nach Wien fand Tannhäuser am Straßenrand einen überfahrenen Fuchs. Er legte ihn gemeinsam mit Pflanzen aus seinem Habitat auf Metall, wässerte - und der Umriss des Tieres zeichnete sich ab. Damit entwickelte sich das Projekt: vom Wasser zu Straßen, vom Beifang zum Verkehrsopfer.

Bei der Präsentation auf der Parallel Kunstmesse Wien 2025 erinnerte ein Journalist des Ö1 Kulturjournals an Höhlenmalerei - ein Vergleich, den Tannhäuser teilt:


Wie in den Höhlen von Lascaux Tiere sichtbar sind, zeigt Developments unseren heutigen Umgang mit ihnen: einst Nähe, heute Entfremdung.

Die Serie wurde 2024 im Schlosspark Schönbrunn Wien unter der Schirmherrschaft der österreichischen UNESCO-Kommission ausgestellt - angefahrene Tiere im Kontrast zu Zootierhaltung. Das Abbild eines Fuchses, eines Reihers und von Fischen stellte Tannhäuser zur Kulturhauptstadt Europas Salzkammergut im Naturschutzgebiet am Vorderen Gosausee aus.

2026 folgt La Villette Paris, einst Ort von Schlachthöfen mit Millionen getöteter Tiere pro Jahr. Heute ist es ein Kulturpark - für Tannhäuser ein Raum für Erinnerung und Wandel. 2027 plant er eine Ausstellung in Schottland, einem Land, dessen Natur bedroht ist, aber das aktiv an Wiederaufforstung, Schutzgebieten und Artenerhalt arbeitet - ein Ort zwischen Verletzlichkeit und Hoffnung.